Interview mit Bürgermeisterin Christine Strobl
In Deutschland leben ca. 10 Millionen Menschen, die von verschiedensten Behinderungen betroffen sind, das entspricht etwa 12,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die UN-Behindertenrechtskonvention trat im Jahr 2009 in Kraft und fordert eine Teilnahme aller Bürger und Bürgerinnen am gesellschaftlichen Leben. Die Umsetzung der Forderungen stellt jedoch häufig eine Herausforderung dar. Wir vom P-Seminar „Barrierefreiheit“ des Gisela-Gymnasiums haben uns mit Fr. Christine Strobl, der 3. Bürgermeisterin Münchens (SPD), getroffen um zu erfahren, wie die derzeitige Situation in München aussieht.
Schüler des Gisela-Gymnasiums (GG): Wie sind Ihre bisherigen persönlichen Erfahrungen und Meinungen im Umgang mit Menschen mit Handicaps, insbesondere mit Hörgeschädigten?
Christine Strobl (CS): Im privaten Umfeld kenne ich niemanden im Jugendalter der hörgeschädigt ist. Natürlich gibt es in meiner Verwandtschaft ältere Menschen, die mit dem Alter Probleme bekommen. Beruflich habe ich des Öfteren mit den Verbandsvertretern aus diesen Bereichen zu tun. Wir führen Gespräche und ich unterstütze diesen Bereich. Dienstlich habe ich somit mehr mit diesem Thema zu tun, als privat.
GG: Was gehört für Sie zu einer gelungenen Barrierefreiheit dazu? Welche Maßnahmen müssen hierzu durchgeführt werden?
CS: Barrierefreiheit bedeutet für mich, dass jeder Bürger und jede Bürgerin unabhängig der Einschränkung vestmöglich selbstständig am öffentlichen Leben teilnehmen kann. Um nur ein Beispiel zu nennen: Alle Bushaltestellen in München werden barrierefrei nachgerüstet.
GG: Arbeiten in der Stadt auch betroffene Mitarbeiter? Falls ja: Welche individuell abgestimmten Maßnahmen werden für diese getroffen?
CS: In meinem Büro ist niemand mit Handicaps eingestellt, aber die Stadt beschäftigt zahlreiche. Es wird versucht ihren Arbeitsplatz in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich so barrierefrei wie möglich zu gestalten. Es ist nicht immer leicht alle Formen der Behinderung zu berücksichtigen, aber wir tun unser Bestes.
GG: Ihrer Homepage ist folgendes Zitat zu entnehmen: „Trotz aller Sparzwänge werde ich mich insbesondere im sozialen Bereich engagieren.“ Was ist ihre Motivation für diese Zielsetzung?
CS: (lacht) Das hängt mit meiner Biografie zusammen. Ich habe es einer entsprechenden Bildungspolitik zu verdanken, dass ich trotz eines „bildungsfernen“ Elternhauses auf ein Gymnasium gehen und studieren konnte. Einen speziellen Auslöser mich für die soziale Gerechtigkeit politisch zu engagieren gibt es nicht. Das Interesse, eine insgesamt sozial gerechte Gesellschaft anzustreben, hat sich durch meine persönliche Biografie und durch meinen Werdegang entwickelt.
GG: Was wird in der Stadt München bereits getan um die UN-Behindertenrechtskonvention bestmöglich umzusetzen?
CS: Wir haben eine Arbeitsgruppe eingerichtet und gemeinsam überlegt, was man aus der UN-Konvention konkret in München umsetzen kann. Darüber hinaus wurde eine Stelle eingerichtet, die sich um die tatsächliche Umsetzung der im „Aktionsplan“ gesetzten Ziele kümmern wird. Der Stadtrat hat dies unterstützt und auch Geld für die Umsetzung zur Verfügung gestellt. Unser Ziel für die Zukunft ist die Verwirklichung des Beschlusses, denn die Erstellung des „Aktionsplan“ ist ein erster Schritt, dem jedoch noch weitere folgen müssen.
GG: Inwieweit werden Betroffene in die Entscheidungen mit einbezogen?
CS: Für einen nicht Betroffenen ist es in der Tat nicht immer einfach, alles Wichtige für eine gelungen Barrierefreiheit zu berücksichtigen. Aus diesem Grund sollten Selbstbetroffene uns auf mögliche Schwierigkeiten aufmerksam machen. Unser Behindertenbeauftragter Owald Utz und der Behindertenbeirat thematisieren Überlegungen bezüglich der Umsetzung barrierefreier Maßnahmen und bringen diverse Lösungsvorschläge ein.
GG: Inwieweit setzt sich die Stadt München ein, um die Aufklärungsarbeit über das Thema Barrierefreiheit voranzutreiben und wie empfinden Sie die Bereitschaft der Münchner Bürger und Bürgerinnen?
CS: Durch Veranstaltungen zum Beispiel wird versucht das Thema Handicaps und Barrierefreiheit den BürgerInnen durch Selbstversuchen nahe zu bringen. Bei Rollstuhlparcours können eigene Erfahrung gesammelt werden. So ist es annähernd nachzuvollziehen, mit welchen Herausforderungen Rollstuhlfahrer zurechtkommen müssen. Die Bereitschaft sich mit dem Thema auseinander zu setzen ist bei der jüngeren Generation eher vorhanden als bei den Älteren. Aus diesem Grund wäre es, in meinen Augen, der beste Ansatz, die Aufklärungsarbeit in den Kindergarten und Schulalltag zu integrieren.
GG: Herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für das Gespräch genommen haben.
Geführt von Veronika Fischhaber, Ann-Kathrin Diehl, Felix Schneider und Marialena Dimpflmeier