Menu

Plötzlich wird dein Name aufgerufen. Du ertastest dir einen Weg durch die Zuschauermenge, betrittst die gleißend helle Bühne und hast nun ganze fünf Minuten, mit deinen inszenierten Worten Publikum und Jury zu überzeugen. An einem Poetry-Slam-Wettbewerb aktiv teilzunehmen, erfordert ganz schön viel Mut. Trotzdem erfreut sich diese immer noch recht junge Idee vor allem unter jungen Leuten steigender Beliebtheit. Gerade die Münchner Szene ist äußerst aktiv: Wer meint, er könne zu den populärsten Veranstaltungen wie dem monatlich stattfindenen Substanz Poetry Slam in Untersendling oder den ebenfalls monatlichen Kiezmeisterschaften im Stragula eine halbe Stunde vor dem offiziellen Beginn sorglos hineinschlüpfen, riskiert, vor verschlossenen Türen zu stehen. Ein wesentlicher Anreiz sind sicher die verschwimmenden Grenzen zwischen Künstlern und Publikum: Fast alle Slams legen am Eingang eine Liste aus, in die sich kurz entschlossene Poeten eintragen können, und im Publikum sitzt mancher, der kürzlich selbst auf der Bühne gestanden hat. Andere bekommen während der Veranstaltung Lust, sich das nächste Mal auch selbst mit einem Text zu versuchen.
Wegen dieser Sogwirkung gehört Poetry Slam meines Erachtens unbedingt hinein in die Schulhäuser: Wo sonst ist eine größere Faszination an der Wirkung des Wortes zu spüren, wo sonst werden junge Leute heute dermaßen zum gestalterischen Schreiben angeregt? Was Kontinuität auslösen kann, zeigt sich gerade am Grasser-Gymnasium, das mittlerweile ein halbes Dutzend abendliche Poetry Slams jährlich vor 60 bis 80 Zuschauern anbieten kann, und wenn man bedenkt, dass fast alle Slammer aktive oder ehemalige Grasser-Schüler sind, kann man über das künstlerische Niveau nur staunen - einige haben sich sogar schon überregionalen Ruhm erworben. Die meisten Zuschauer sind ebenfalls Schülerinnen und Schüler vom Grasser-Gymnasium. Sie pilgern also massenhaft fast jeden Monat einmal abends in die Schule, um - ja, die deutsche Sprache zu feiern. Nanu!

Erstaunlicherweise bildet das Grasser-Gymnasium eine herausragende Ausnahme in der Münchner Bildungslandschaft. Ich habe eine Reihe von Schulen in unserem Umkreis wegen eines Meinungsaustauschs angeschrieben und kaum Resonanz erfahren. Einige wenige einmalige Veranstaltungen waren wohl erfolgreich, aber nicht folgenreich. Das Potential, das hinter dieser Art von Wettbewerb steckt, müsste eigentlich viel besser genutzt werden.

Am Gisela-Gymnasium sind wir gerade dabei, dies zu tun. Am 25. Februar 2015 rief der Literaturkreis zum nachmittäglichen 2. Gisela Poetry Slam (ab Klasse 9) auf. Wie im Vorjahr war die Resonanz überwältigend: Der Theaterkeller war nicht ausverkauft, denn der Eintritt war umsonst, aber dafür bis auf den allerletzten Platz besetzt und „bestanden“, die Stimmung war hervorragend, und auf der Bühne versuchten 11 junge und nicht mehr ganz junge Dichter, die begehrte Trophäe in Form eines Kuchens, der aus puren Gummibärchen bestand, zu gewinnen. An dieser Stelle sei Bert Uschner vom Grasser-Gymnasium herzlich gedankt, der uns mit seinen Aktiven das Line-Up, wie es in der Szene heißt, füllte, und so mancher Giselaner, der sich eigentlich berufen fühlte, sich aber - siehe oben - nicht getraut hatte, bekam gewiss - siehe oben - während der Veranstaltung Lust, sich das nächste Mal auch selbst mit einem Text zu versuchen.

Nach allem, was wir aus Schülerkreisen gehört haben, glaube ich, dass wir schon jetzt ein kleines Feuerchen entflammt haben. Nach Redaktionsschluss dieses Jahresberichts werden wir mit dem 3. Gisela Poetry Slam am 20. Juli 2015 nachlegen, um den nächsten Schritt zu gehen: Steigerungsfähig ist vor allem die Zahl der Giselaner, die sich auf die Bühne trauen. Für Oktober 2015 bemühen wir uns an der Schule um einen der Workshops, die die Schaubühne anbietet, und möglicherweise ist dann die Zeit reif für eine erste Abendveranstaltung.

Langfristig sollen regelmäßige Poetry-Slam-Wettbewerbe am Gisela-Gymnasium fest etabliert werden. Neben den einschlägigen Erwachsenen-Veranstaltungen in München und den U20-Wettbewerben der Schauburg könnten schulische Quasi-U18-Wettbewerbe die wichtige Aufgabe erfüllen, unsere Jugendlichen für Sprache zu begeistern. Ich stelle mir eine Veranstaltung für die ganze Schulfamilie vor, also Schüler, Lehrer, Eltern und Freunde, sowohl als Zuschauer als auch eventuell als Poeten auf der Bühne. Sie alle sind auf jeden Fall schon jetzt herzlich zum 4. Gisela Poetry Slam eingeladen.

Ach ja: Sieger des 2. Gisela Poetry Slams waren die Lokalmatadoren Lennart Bott und Paul Bachmann mit, wie soll ich sagen, einer eigenwilligen, gereimten Fortsetzung des Literaturunterrichts. Sie konnten also 2015 nicht nur ihr Abitur-Zeugnis, sondern auch den Gummibärchenkuchen in Empfang nehmen und werden von beidem noch lange erzählen. 

Artikel "Poetry Slam" aus dem Jahresbericht 2014/2015

Bert Schwarzer

 

Zum Seitenanfang